Zurück zum
»persönlichen Computer«
Eine
Botschaft von Carl Sassenrath
20. Januar 1997
Seit
über 16 Jahren ist Carl Sassenrath einer der führenden
Innovatoren auf dem Gebiet der Betriebssysteme. Er arbeitete
für Firmen wie Hewlett-Packard, Apple, Amiga und Commodore.
Sassenrath wurde bekannt als Architekt des
Amiga-Multitasking-Betriebssystems, einem schnellen und
effizienten System, das als eines der ersten dynamisch
ladbare Libraries und Gerätetreiber einsetzte.
(Nähere
Informationen)
Sind Sie zufrieden?
Wir leben in einer
Zeit enorm leistungsfähiger Personal Computer. Unsere
Desktop-Systeme sind mehrere hundert Mal
schneller als die großen, teuren
Mainframe-Systeme der Vergangenheit. Doch was ist aus all
dieser Leistung geworden? Sind Sie zufrieden mit Ihrem
Computersystem? Funktioniert und reagiert es so, wie Sie es
erwarten?
Während des letzten
Jahrzehnts wurde die verbesserte Hardware-Performance durch
eine exzessive Zunahme von Größe und Komplexität der
Systemsoftware zunichte gemacht. Oder vielleicht verhält es
sich umgekehrt - die treibende Kraft hinter verbesserter
Hardware-Performance war das Bemühen, die immer
größeren Unzulänglichkeiten der Software auszugleichen.
Denn wie brauchbar wäre Windows 95 auf einem 8-MHz-Computer?
Das
Komplexitätsproblem
Die Entwickler
moderner Software verstehen nicht, welche Folgen ihre
aufgeblähten Systeme für ihre Benutzer haben. Das Betreiben
eines Personal Computers (also eines »persönlichen
Computers«) erfordert von uns heute soviel Zeit für
Setup-Menüs, Installationsprogramme, Konfigurations-»Wizards«
und Hilfs-Datenbanken wie für die produktiven Anwendungen.
Firmen wie Microsoft gehen fälschlicherweise davon aus, dass
wir Zeit zu verschenken hätten, oder dass es uns sogar Spaß
mache, andauernd an ihren Systemen herumzudoktern.
Diese geistlose
Haltung zieht sich durch alle Aspekte moderner
Software-Produkte, angefangen bei den Entwicklungssystemen,
mit denen sie programmiert werden, über die
Anwendungs-Libraries (APIs), durch die sie angesprochen
werden, bis hin zu den Betriebssystemen, die sie zu ihrer
Ausführung benötigen. Diese Seuche hat alle Bereiche der
Computer-Software durchdrungen - man merkt es, wenn man ein
C++-Shareware-Programm von 10 MB übers Netz zieht, ein
Betriebssystem-Update von 80 MB installiert, oder ein
Developer's Kit auf 10 CD-ROMs erhält.
Viele Entwickler
verteidigen ihre Software mit dem Argument »Was ist denn so
schlimm an einem 10-MB-Programm? Speicher ist doch billig.«
Aber eigentlich sagen sie: »Was macht es schon, wenn das
Downloaden ein bisschen dauert. Ist doch egal, wenn das
Programm Platz auf der Platte und das halbe RAM belegt. Die
Konfiguration ist vielleicht ein bisschen zu kompliziert. Na
gut, es hat viele sinnlose Features. Aber wenigstens hat es
weniger als ein Dutzend offensichtlicher Bugs, und immerhin
läuft es mindestens eine Stunde, bevor es abstürzt.«
Diese Entwickler
verkennen den Kern des Problems: Software-Komplexität. In
den letzten Jahren wurde weithin akzeptiert,
dass Software von abstruser Komplexität sein müsse.
Die Größe der Systeme ist außer Kontrolle geraten und steht
in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Nutzen; sie wurden
verschwenderisch, zerbrechlich, klobig und langsam. Wie
unsere Behörden werden diese komplexen Softwaresysteme
mittlerweile durch blühende Bürokratien des Nicht-Denkens
aufrechterhalten und angetrieben von ihren eigenen Märkten
mit verzweifelten, unerfahrenen Kunden, die keine
Alternative sehen.
Zurück in die Zukunft
Für mich haben die
»modernen« Software-Praktiken das Limit erreicht. Während
der letzten Jahre träumte ich nicht von der Zukunft, sondern
von der Vergangenheit. Vielleicht erinnern Sie sich noch an
jene Tage... als eine Textverarbeitung auf einer einzigen
Diskette ausgeliefert wurde, und ein damals riesiges
Betriebssystem zwei brauchte. Wissen Sie noch, wie wunderbar
produktiv man auf einem 7-MHz-System mit einer
10-MB-Festplatte arbeiten konnte? Wenn etwas nicht lief,
standen die Chancen nicht schlecht, dass man es selber
wieder richten konnte.
Für mich geht es bei
all dem um »persönliche Computer«, nicht um
»persönliche Versklavung«. Es geht darum, dass
wir die Herren unserer eigenen Computer sind, und nicht
umgekehrt. Vor 10 Jahren stimmte das, aber heute beherrschen
wir sie nicht mehr. Ist es möglich, diese Stellung
zurückzugewinnen? Oder haben wir sie für immer an die
Geschichte verloren, wie das legendäre Tucker-Automobil?
Überall höre ich, dass die Welt des PCs vollständig von
einem einzigen System dominiert wird - einem System, dem in
meinen Augen nicht nur eine konsistente, effiziente und
zuverlässige Architektur, sondern auch eine intelligente
Vision der Zukunft fehlt.
Vielleicht
sind wir mit unseren Personal Computern an einem Wendepunkt
angekommen, an einem Punkt, an dem wir Stellung beziehen
müssen. Es ist meine ehrliche Hoffnung, dass
es genügend verstreute Stützpunkte von Rebellen gibt, die so
denken wie ich und es ablehnen, sich vor dem »Imperium« zu
verneigen (oder dies nur widerwillig tun und sich eine
Gelegenheit zur Flucht erhoffen). Mit einer kritischen Masse
können wir uns unsere eigene Zukunft erschaffen und zum
ursprünglichen Sinn des »persönlichen Computers«
zurückkehren.
Mein Anteil
Nachdem ich die
Architektur des Amiga-Multitasking-Betriebssystems entworfen
hatte, ging ich jahrelang davon aus, dass sich
die Betriebssysteme stetig verbessern würden.
Ich dachte, wenn fünf Millionen Menschen den Amiga benutzen
und sein Design als gelungen erachten, hätte ich meinen
Beitrag geleistet. Ich vertagte meine Visionen eines neuen
Betriebssystems und glaubte naiverweise, dass andere die
Fackel in die bestmögliche Zukunft weitertragen würden. Ich
weiß jetzt, dass das ein Fehler war, und bedauere es
mittlerweile.
Nun bin ich bereit,
das System zu entwickeln, über das ich mir während der
letzten 10 Jahre Gedanken gemacht habe. Mir geht es dabei
nicht um den Clone eines existierenden Computersystems
(einschließlich des Amigas). Ich will einen
Personal Computer, wie ich ihn selber gerne benutzen würde:
ein System, das von Grund auf einfach zu
bedienen, konsistent, flexibel, leistungsfähig, klein und
schnell ist.
Mein Plan umfasst zwei
Phasen. Die erste Phase ist die Fertigstellung einer
neuartigen Skript- und Kontrollsprache. Am
Design dieser Sprache habe ich während der letzten Jahre
immer wieder gearbeitet. Während der letzten Monate geschah
dies hauptberuflich; die Sprache ist fast bereit für den
Release einer Prototypen-(Alpha)-Version. Im Laufe der
nächsten Monate werden Versionen für alle gängigen
Plattformen zur Verfügung stehen.
Warum eine Sprache?
Weil ich glaube, dass der Kern eines Computers nicht im
Betriebssystem oder im Prozessor, sondern in den Fähigkeiten
der Programmiersprachen liegt. Sprache ist sowohl ein
Werkzeug des Denkens als auch ein Mittel zur Kommunikation.
So wie unser Denken von der menschlichen Sprache geprägt
wird, werden Betriebssysteme von den Programmiersprachen
geprägt. Wir implementieren, was wir ausdrücken
können. Was nicht ausgedrückt werden kann,
wird nicht implementiert.
Ist die Sprache dann
vollständig und in Verbreitung, soll in der zweiten Phase
ein kleines und flexibles Betriebssystem
entwickelt werden, das auf einzigartige Weise mit der
Sprache verzahnt ist. Das Setzen von Attributen,
Kontrollskripte, Konfiguration, Installation,
Interprozess-Kommunikation und verteiltes Berechnen werden
durch die Sprache unterstützt werden. Zwar werden
Anwendungen immer noch in C und verschiedenen anderen
Sprachen geschrieben werden können, jedoch wird ein Teil
ihrer Systemschnittstelle über die Betriebssystemsprache
laufen. Ein Prototyp-Release dieses Systems ist noch für
dieses Jahr geplant und soll auf einigen verschiedenen
Hardware-Plattformen laufen.
Ihr Anteil
Die oben beschriebene
Sprache und das Betriebssystem sind umfangreiche Projekte
und werden für etliche Zeit all meine Kräfte in Anspruch
nehmen. Sie sind meine einzige Aufgabe,
ich habe keine anderen Jobs oder Verträge, um mich über die
Runden zu bringen. Allerdings habe ich auch keinesfalls die
Absicht, mich an eine große Firma zu verkaufen oder von der
Gier der Wall Street bestimmen zu lassen. Dadurch würde nur
(wieder einmal) die Kontrolle an diejenigen abgegeben, denen
die Einsicht und das Verständnis für die besten
Entscheidungen der kommenden Jahre fehlt.
Stattdessen würde ich
gerne erfahren, ob es da draußen genug Menschen gibt, denen
es geht wie mir - Menschen, die gerne die Wahl hätten, die
ein System möchten, das sie beherrschen können, und die
bereit wären, es durch einen finanziellen Beitrag zu
unterstützen.
Ich habe zwar viele
Monate darüber nachgedacht, aber noch nie zuvor ein durch
Benutzer finanziertes Projekt gemacht, so dass ich nicht
weiß, was ich erwarten soll. Im Moment bin ich
hoffnungsvoll, aber auch ein wenig nervös. Das Risiko ist
groß. Wenn Ihnen mein Vorschlag gefällt, nehmen Sie ihn sich
bitte zu Herzen und denken Sie über meine Worte nach, denn
ohne Sie kann ich ihn nicht verwirklichen.
Es ist an
der Zeit, etwas anderes zu schaffen. Es ist an der Zeit,
etwas für uns selbst zu tun. Ich hoffe, dass Sie mit mir
gemeinsam gegen die Software-Komplexität rebellieren werden,
um uns wieder zu Herren unserer »persönlichen Computer« zu
machen.
Mit freundlichen Grüßen,
Carl Sassenrath
Anregungen per E-Mail
an
future@sassenrath.com
Postadresse: PO Box 1510, Ukiah, CA 95482, USA
Behalten Sie
diese Web-Site,
http://www.sassenrath.com/, im Auge, wenn Sie nähere
Informationen suchen. Von jetzt an sind wöchentlich
Änderungen und Ankündigungen an dieser Stelle zu erwarten.
Copyright © des Originaltextes Carl Sassenrath 1997
Copyright © der deutschen Übersetzung Stefan Winterstein
1997
Dieser Text darf frei kopiert, verbreitet und gepostet
werden, solange das Copyright erhalten bleibt.
Anmerkungen zur Web-Seite an:
mailto:wm@sassenrath.com
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