Computer Modell Katalog

Entwicklung der Datenverarbeitungstechnik in der DDR

Die DV als bedeutendes volkswirtschaftliches Rationalisierungs- und Intensivierungsmittel wurde und wird in der DDR auf der Grundlage der volkswirtschaftlichen Planung und in Übereinstimmung mit den volkswirtschaftlichen Erfordernissen und Möglichkeiten entwickelt. Insbesondere seit dem VIII. Parteitag der SED ist es gelungen, sowohl leistungsfähige Produktionskapazitäten für elektronische Datenverarbeitungstechnik (VE Kombinat Robotron) als auch moderne Formen der Anwendung und Nutzung der EDV zu schaffen. Die Beschlüsse zur forcierten Entwicklung und Nutzung der Mikroelektronik gewährleisten noch schnellere Fortschritte bei der Produktion und der Nutzung immer modernerer Datenverarbeitungstechnik. Die weitere Nutzung der EDV muss dazu beitragen, vor allem in den Kombination und Betrieben Leistungsreserven zu erschließen, Arbeitsplätze produktiver und den Arbeitsaufwand zur Lösung von Aufgaben zu senken. (1)

Die Datenverarbeitungstechnik durchdringt in zunehmenden Masse alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Insbesondere auf dem Gebiet der Wirtschaft dient sie zur Erzielung von Maximalprofiten für die Eigentümer der Produktionsmittel. Obwohl innerhalb der Konzerne und Unternehme bedeutende Rationalisierungseffkte erreicht werden, verhindern der Konkurrenzkampf und die Anarchie des kapitalistischen Systems die volle Ausschöpfung der Möglichkeiten der Datenverarbeitung. (1)

Die EDV dient im zunehmenden Masse in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens der Rationalisierung und optimalen Beherrschung notwendiger Leitungs-, Planungs-, Abrechnungs- und Produktionsprozesse. Mit dem planmäßigen Einsatz immer modernerer Datenverarbeitungstechnik wird zur Stärkung der Wirtschaftskraft, der Effektivität und Qualität der Arbeit in allen Lebensbereichen zum Wohle des Volkes beitragen. (1)

Seit 1969 wird die Entwicklung, Produktion und Nutzung moderner Datenverarbeitungstechnik im Rahmen des RGW durch eine "Mehrseitige Regierungskommission der sozialistischen Länder auf dem Gebiet der Rechentechnik" koordiniert. Hauptergebnisse sind die Entwicklung des Einheitlichen Systems der elektronischen Rechentechnik (ESER) und des Systems der Kleinrechner (SKR). (1)

Die ESER Modelle der ersten Reihe verfügten über Ferritkernspeicher, während die Modelle der Reihe II. der ESER Serie mit Halbleiterspeichern in MOS Technik arbeiteten.

Zur Entwicklung der Datenverarbeitungstechnik in der DDR sei auf einen Leserbrief von Herrn Morgner hingewiesen, der persönliche Erfahrungen in diesem Bereich sammeln konnte. Ich hatte im Oktober 2004 die einmalige Gelegenheit an der Universität von Chemnitz einem mehrtägigen Symposium zum Thema "Computergeschichte der DDR" beiwohnen zu dürfen. Die Vielzahl von Vorträgen von Computer-Aktivisten aus den 1950er bis 1960er Jahren war von enormen Interesse und wirklich spannend. Für die Zeitung Computerzeitung (Konradin IT Verlag) konnte ich ein Special zu dem Thema unterbringen, dessen Urfassung hier abgedruckt ist :

 

Informatik in der DDR

von Thomas Bär

Im Oktober 2004 fand sich an der Technischen Universität von Chemnitz eine ganz besondere Gruppe von Menschen zusammen. Das Symposium „Informatik in der DDR – eine Bilanz“, ein Gemeinschaftsprojekt der Fachhochschule Erfurt und der TU Chemnitz, lockte rund 130 vornehmlich ältere Herren der Branche in den ehemaligen Physikhörsaal. Auf unbequemen Stühlen in den Rängen lauschten die Teilnehmer 34 Vorträgen, die eine Zeit beleuchteten, aus der auch heute noch wenig bekannt ist. Der repressiven Informationsweitergabe in der DDR ist es zu verdanken, dass selbst jetzt noch viele Puzzleteile zur Vervollständigung eines Gesamtbildes fehlen.

Die Idee zum Symposium geht auf Prof. Dr. Dr. habil. Friedrich Naumann und der Gesellschaft für Informatik zurück. In seinem Vorwort legte der Initiator besonderen Wert darauf, dass diese Veranstaltung mehr sei, als ein Nostalgietreffen. Der Gesellschaft für Informatik mit ihren 25000 Mitgliedern und ihm sei vorwiegend daran gelegen, die Schatten über dem Wissen der Vergangenheit noch jetzt zu lüften – denn Zeitzeugen stehen noch zur Verfügung. Lediglich eine E-Mail sei bei den Veranstaltern eingetroffen, in der sich der Absender über die Aufarbeitung der Geschichte eines verbrecherischen Staates beklagt. Da Naumann sich Ende nächsten Jahres in den Ruhestand begibt und der Lehrstuhl für Technik-Geschichte an der TU Chemnitz aus Kostengründen unbesetzt bleiben wird, ist die Aufarbeitung der Geschichte auch in den nächsten Jahren ein schwieriges Unterfangen. So erging in seinem Vortrag die Aufforderung an das Auditorium, vorhandene Exponate, Unterlagen oder Dokumentationen jetzt zur Bewertung bereitzustellen.


(In der Eröffnungsrede von Prof. Dr. Dr. Naumann wurden die Zeitzeugen gebeten Dokumente oder Exponate für die geschichtliche Aufarbeitung zur Verfügung zu stellen)

Die Geschichte der Informatik geht in Chemnitz weit in die Vergangenheit zurück. Bereits im Jahre 1878 wurden die ersten Rechenmaschinen in der drittgrößten Stadt Sachsens gebaut. Zeitgleich bezog die Technische Universität die neu errichteten Räume, nachdem die Einrichtung 42 Jahre zuvor gegründet worden war. Vor der Herrschaft der Sozialisten war Sachsen ein Technologiestandort und auch heute sind Firmen wie AMD, Siemens und Infineon vor Ort zu finden. Mit Hochleistungsrechnern, wie dem Linux-basierenden Clic-Cluster im Rechenzentrum der Universität unterstreicht die Stadt einmal mehr, dass Ostdeutschland keine Informatikwüste ist. Die moderne Informatik geht auf die Rechnerarchitekturen von Konrad Zuse und von Neumann zurück, die in den Jahren des Zweiten Weltkriegs unabhängig voneinander wesentliche Details beschrieben, die auch heute noch im modernen Computer Anwendung finden. Der Sohn von Konrad Zuse, der am ersten Tag des Symposiums selbst anwesend war, ließ es sich nicht nehmen, die Nennung von Neumanns als Grundvater der gemeinsamen Datenhaltung von Daten und Befehlen im Vortrag von Prof. Dr. Hans Rohleder in Frage zu stellen. Ohne dass eine Debatte dazu hätte aufkommen können, verließ der Kritiker danach den Raum.

Schlechte Rahmenbedingungen prägten die Arbeit der Informatiker

Politisch gesehen war der Stand, den die Informatiker in dem sozialistischen Land hatten, stets eher schwierig, denn gut gewesen. Während sich die Informatik in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunächst von der Mathematik ablösen musste, waren die politische Führung bedeutend träger bei der Erkenntnis, dass die maschinengestützte Kalkulation eine Schlüsselfunktion für die Zukunft einnehmen wird. In der ersten Phase, den Jahren 1948 bis 1960 standen den Pionieren noch viele Türen offen, und viele Projekte ließen sich erfolgreich umsetzen. Besonders Mitte der 60er Jahre erhielten die Informatiker unter der Regierung Ulbrichts eine Förderung, die es ermöglichte im internationalen Vergleich aufzuholen. In den ersten Jahren unter Honecker, 1971 bis 1983, wurde die Informatik als „eine Technik von Vielen“ betrachtet und dank geringer Förderung kam es zu einer Stagnation. Erst nach 1983, in der Euphorie durch die Möglichkeiten die CAD und CAM boten wurde die Informatik wieder als förderungswürdige Technologie eingestuft. Wie es um den Stellenwert der Wissenschaftler wirklich stand, vermag der Vortrag von Dipl. Ing. Rolf Kutschbach vermitteln. Aufmerksam wurde der Erfolg der IBM 1401 im Westen beobachtet und so als Zielvorgabe im Rahmen einer „Inventur des Möglichen“ für die Entwicklung eines eigenen Systems verwendet. In den Jahren 1961 – 1966 entstand so der R300. Zu dieser Zeit stand die Entwicklung von integrierten Schaltkreisen nicht für ein Produkt zur Debatte, für Plattenspeicher fehlten in der DDR ebenfalls die Möglichkeiten. So wurde die Nummer 300 das Sinnbild der angestrebten 300 Lochkarten, die das System in einer Minute bearbeiten können sollte. Bei einer politisch korrekt durchgeführten Bedarfsermittlung für die Deutsche Demokratische Republik wurde festgehalten, dass rund 300 Anlagen dieses Typs benötigt werden würden. Viel Zeit verwendeten politisch motivierte Mitarbeiter allein dafür, Begrifflichkeiten, die durch den Westen geprägt und so als kapitalistisch eingestuft wurden, so zu Umschreiben, dass es sich dabei nicht mehr um ein Plagiat handelte. Das Re-Design einer technischen Möglichkeit aus dem Westen war jedoch unter den gegebenen Umständen kein einfaches Unterfangen. Da beispielsweise Magnetbänder in der DDR von minderer Qualität waren, mussten die Ingenieure spezielle Fehlerkorrekturverfahren entwickeln, um Datenfehler zu vermeiden.

Als 1964, nach einem Beschluss des Ministerrats, das Vorhandensein einer Maschine wie der R300 als Ziel deklariert worden war, ging es alles sehr schnell und bereits 1965 war die Entwicklung der Recheneinheit abgeschlossen. 1966 wurden lediglich noch Tests durchgeführt und Peripheriegeräte angepasst. Die technisch ebenbürtige Remington 1024 wurde zum Vergleich in lediglich sechs Monaten entwickelt und auf den Markt gebracht. Auch wenn Remington bereits nach drei Monaten einige Geräte wegen technischer Unzulänglichkeiten zurückrufen musste, so ist die Entwicklungszeit doch wesentlich kürzer. Nachdem die R300 auf einer Messe in Moskau vorgeführt wurde, fanden sich sofort russische Unternehmen, die das Gerät direkt vom Stand weg kaufen wollte. Dazu sollte es jedoch nicht kommen, da die Regierung der DDR beschloss alle Geräte ausschließlich für die Nutzung innerhalb der DDR zu verwenden und den Export zu unterbinden. Bis in das Jahr 1972 wurden von der R300 zirka 350 Exemplare gebaut und ein Umsatz von mehr als 1 Milliarde Mark erzielt. Den zehn maßgeblich an der Entwicklung beteiligten Wissenschaftlern wurde jeweils das „Banner der Arbeit“ verliehen und ein Preisgeld von insgesamt 5000 Mark zugestanden. Kurz zuvor hatten drei Landwirte die gleiche Auszeichnung und die gleiche Summe erhalten für die hygieneschiere Schweinemast. So machte der „Arbeiter- und Bauernstaat“ deutlich, wo die Schwerpunkte und Gewichtigkeiten zu suchen waren. Herr Kutschbach referiert weiter und fasst in einem Fazit zusammen, dass eine besondere Herausforderung bei der Entwicklung von Rechnersystemen in der ehemaligen DDR darin bestand, „den Kampf gegen die Betonköpfe in der Regierung“ zu gewinnen.

Mit der Einführung der R300 war die DDR im direkten internationalen Vergleich drei bis vier Jahre dem Weltmarkt in technologischer Hinsicht hinterher. Anfang der 70er Jahre wurde ein weiteres Erfolgsmodell des Westens genau analysiert, die IBM /360 Serie. In enger Zusammenarbeit mit der UdSSR sollte eine einheitliche Datenverarbeitungsanlage nach dem Beispiel der IBM /360 entwickelt werden. Der direkte Einkauf von Rechnersystemen aus westlicher Produktion in großer Stückzahl kam für die Regierungen im Osten nicht in Frage. Einerseits sorgte das von den USA ausgehende CoCom (Coordinating Committee) für eine Kontrolle der Exporte von modernen Schlüsseltechnologien von westlichen Unternehmen in den Bereich des Ostblocks, zum anderen wollte man sich nicht von Unternehmen abhängig machen, da „Störmanöver“ gefürchtet wurden. Trotz CoCom gelang es Unterhändlern auf dunklen, kostenintensiven Wegen Anlagen in die Gebiete des Warschauer Pakts zu verkaufen. Wenn solche Systeme direkt eingesetzt wurden, entstand das Problem der Schulung, Dokumentation und der Ersatzteile. Unter genauer Kontrolle des CoCom wurde für IBM-Systeme ein Ersatzteil-Depot im Gebiet der DDR betrieben. Ansonsten wäre für jedes Ersatzteil ein einzelnes Genehmigungsverfahren notwendig gewesen. Bedingt durch die Schwierigkeiten beim Import wurde unter der Bezeichnung des „ESER – Einheitlichen Systems Elektronischer Rechenanlagen“ zeitgleich in Polen, Ungarn, Bulgarien, der UdSSR und der DDR mit dem Bau von Systemen nach dem IBM /360 und IBM /370 Beispiel begonnen. Bis 1995 waren in den neuen Bundesländern noch einige ESER-Anlagen im Einsatz.


(Ein komplett erhaltenes ESER-System, der IBM /370-Pendant aus den Ostblockstaaten, ist im Heinz Nixdorf Museum in Paderborn ausgestellt.)

Als Analogrechner noch schneller waren.

Auch bei der Hybridtechnik konnten die Wissenschaftler in Ostdeutschland mit Kollegen aus dem sozialistischen Ausland zusammenarbeiten. Anfang der 70er Jahre waren analoge Rechensysteme bei der Berechnung einiger mathematischer Fragestellung bis zum Faktor 1000 schneller als Digitalrechner. Die Nachteile der analogen Technik lagen in der langwierigeren Vorbereitung, der hohen Fehlerquote und der fehlenden Speichermöglichkeit. Durch Verbindung analoger Technik aus dem Werk Aritma aus Prag und dem von Robotron produzierten Minirechner der R4000/R4200-Familie, für die im Westen die Honeywell DDP 516 Vorbild stand), konnten die Vor- und Nachteile beider Technologien ausgeglichen werden. Der Vortrag von Prof. Dr. Heinz Scheffel aus Jena beschreibt weniger die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Materialien oder das Abpassen einer brauchbaren politischen Lage, denn die Schwierigkeiten, die die Kopplung beider Systeme und die notwendige Programmierung mit sich brachten. Die aus der Kooperation hervorgegangenen Systeme HRA4241 aus dem Jahr 1971 und dem HRA 700 von 1975 gewannen insgesamt drei Goldmedaillen auf den Messen in Leipzig und Brno.

Ende der 70er Jahre wurde die Weiterentwicklung eingestellt, da die Digitaltechnik bereits soweit vorangeschritten war, dass eine analoge Hilfsplattform nicht mehr benötigt wurde. Die späteren Jahre wurde während des Symposiums nicht näher betrachtet. Home- als auch Personalcomputer der DDR aus dieser Zeit waren in erster Linie direkte Nachbauten von Westprodukten. Unter der Bezeichnung „Spectral“ stellte das IFAM Erfurt einen „Sinclair ZX Spectrum“ Nachbau vor und ein „Robotron EC 1834“ auf Basis einer K1810WM86 CPU war in Wirklichkeit ein XT-System. Die umgearbeiteten Betriebssysteme wie DCP, SCP oder QuickDOS waren ebenfalls von Herstellern wie Microsoft kopiert worden. In einem Land, in dem selbst ein einfaches Telefongespräch in den Westen der vorherigen Anmeldung bedarf, ist die Schaffung einer Anbindung an ein internationales Computernetzwerk wie dem ARPANET ein besonders heikles Thema. Im Jahr 1974 wurden wissenschaftlich genutzte Rechnersysteme der DDR an das vom „International Institute of Applied System Analysis“ (IIASA) betreuten Netzwerk angeschlossen. Die IIASA mit Sitz in Laxenburg in der Nähe von Wien ist eine staatenunabhängige Gemeinschaft zum Ziel der Förderung von wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Die US-Amerikanerin Ronda Hauben, die einzige Sprecherin aus dem Ausland, referierte in ihrem Vortrag über die technischen und politischen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen Ost und West. Am 08.10.2004 wurde im Industriemuseum der Stadt Chemnitz die Ausstellung „Mit Sachsen muss man rechnen – Rechentechnik in Sachsen“ durch Prof. Dr. Naumann und die Symposiums-Teilnehmer offiziell eröffnet. Die Ausstellung mit Maschinen, Büchern, Prospekten ist noch bis zum 28.10.2004 geöffnet. Zu den Exponaten zählen eine seltene Replik der 1727 von Jacob Leupold gebauten Rechenmaschine und eine breite Palette weiterer sächsischer Erzeugnisse im 20. Jahrhundert von Continental, Astra, Seidel & Naumann und anderen. Der DDR-Tischcomputer „Dresden 4a“, später als Cellatron gebaut, gehört ebenfalls zu den Ausstellungsstücken.